DR. MED.
HENRICH STIFTUNG
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«Hirschhausens Werbesendung für die Blutwäsche»

«In der ARD läuft ein Film des Mediziners und Journalisten Eckart von Hirschhausen über Long-Covid-Leiden. Dabei wirft er sämtliche journalistische Prinzipien über Bord und preist eine zweifelhafte Behandlungsmethode an. Warum?»

 

«Long Covid ist ein großes Anliegen des Mediziners und Humoristen Eckart von Hirschhausen. Schon vor knapp einem Jahr hatte er in seinem WDR-Format „Hirschhausens Check-Up“ über das Thema berichtet. Nun folgt mit „Hirschhausen und Long Covid. Die Pandemie der Unbehandelten“ der zweite Teil. Die Sendung ist schon seit 16 Wochen in der ARD-Mediathek zu sehen»

 

«Alle hätten gesagt, „wir wissen nicht, was hilft, also machen wir gar nichts“, so die Long-Covid-Betroffene. Auch das stellt Hirschhausen nicht in Frage. Stattdessen wird ein Ausschnitt aus der Sendung gezeigt, in der Professor Christoph Kleinschnitz, Direktor der neurologischen Klinik an der Uniklinik Essen, die Hypothese formuliert, dass Patienten Long-Covid-Symptome durch eine „seelische und psychosomatische Entstehung mitentwickeln“. Diese Aussage ist für von Hirschhausen Anlass, sich für „so ‘ne Art von universitärer Medizin zu schämen“, er nennt es „Arroganz dem Leid der Menschen gegenüber“. Die These, dass Long Covid teils psychosomatische Ursachen haben kann, ist jedoch keineswegs mit der Behauptung identisch, die der Moderator sie formuliert: Dass sich die Patienten ihre Krankheit nur einbildeten oder „einen an der Klatsche“ hätten. Im Gegenteil: In einer Studie zeigten Kleinschnitz und Kollegen, dass Long-Covid-Patienten zwar unter einer großen Vielfalt von neuropsychiatrischen Syndromen leiden, dass allerdings Schäden des Nervensystems nur selten objektivierbar seien. Daraus leiten die Forscher ab, dass psychosomatische Mechanismen eine wesentliche Rolle in der Pathogenese von Long Covid spielen könnten.»

 

«Für die richtige Behandlung sei es besonders wichtig, die richtige Diagnose zu stellen – und wo sich keine körperlichen Ursachen finden lassen, nach anderen zu suchen. Man stellt sich die Frage, wem hier eigentlich das Leiden der Menschen egal ist: Denen, die verschiedene Hypothesen zur Entstehung von Krankheitsbildern prüfen, oder denen, die sich schon früh auf eine bestimmte Theorie festlegen, für die sie eine Behandlung haben. Um dann sofort mit teuren Verfahren loslegen zu können.»

 

«Nur eins ist von Hirschhausen in der Doku nie: ein sachlicher, distanzierter Journalist, der auch bei denen, deren Anliegen er unterstützt, kritisch nachfragt, wo es nötig wäre.»

 

«Etwa wenn die Internistin Beate Jäger, deren Therapie der Blutwäsche (Apherese) der Großteil der Sendezeit gewidmet ist, sagt: „Ich wollte meine Ergebnisse veröffentlichen, man hat mich abgelehnt.“ Da fragt Hirschhausen nicht etwa nach, warum die Veröffentlichung abgelehnt worden sei. Er geht nicht zu den Gutachtern und fragt nach den Gründen. Stattdessen nickt er nur zustimmend mit dem Kopf und sagt: „Ich hab‘ so‘n bisschen das Gefühl, Sie sind die Prophetin, die nicht im eigenen Land gehört wird.“»

 

«Dabei hätte man nachfragen können. Etwa, bei der zuständigen Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Eine Sprecherin teilte WELT mit, dass keine Anfrage der Doku-Autoren eingegangen sei. Sie schreibt: „Wir standen Anfang des Jahres im Austausch mit Dr. Jäger und hatten angeregt, dass sie ihre Erfahrungen wissenschaftlich auswertet und als Publikation zur Verfügung stellt (z.B. eine Fallberichtserie). Bisher wurde unseres Wissens nichts von ihr publiziert.“ Auf der Internetseite von Beate Jäger steht unter dem Menüpunkt „Forschung“ nicht viel. Man liest dort, dass Jäger in den vergangenen Monaten „weit über 100 Patienten behandelt habe“ und dass die bisher guten Therapieergebnisse in Kürze als Studie zur Verfügung stehen würden. Auf die Anfrage von WELT, wann mit den Ergebnissen zu rechnen sei, antwortete Jäger nicht.»

 

«Man sehe eine gewisse Einseitigkeit darin, dass in der Sendung ausschließlich positiv über die Apherese berichtet werde, schreibt die Sprecherin der Nephrologie-Gesellschaft. Zudem kritisiert sie, dass keine Fälle gezeigt werden, in denen die Apherese nicht geholfen habe. Und sie weist auf Komplikationen hin, die bei der Apherese auftreten können – etwa Venenentzündungen, allergische Reaktionen, Blutungskomplikationen, Blutdruckabfälle und Zerstörung der roten Blutkörperchen.»

 

«Auch wenn Hirschhausen immer wieder anderes nahelegen will, gibt es durchaus bereits umfangreiche Studien zu den Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von Long Covid. Das ist der Redaktion der Sendung auch durchaus bekannt gewesen, wie aus einer Antwort der Autorin der Sendung, Kristin Siebert, hervorgeht. Sie schreibt, es gäbe über 1000 Studien zu Long Covid. Allerdings liefern diese Studien eben nicht die von Hirschhausen nahegelegten Ergebnisse. Im Gegensatz zu Beate Jäger haben eine Reihe von Einrichtungen ihre Ergebnisse bereits veröffentlicht – und die sind, vorsichtig gesagt, nicht eindeutig. In einer Übersichtsstudie schreiben die Autoren in ihrer Schlussfolgerung, dass eine Bestätigung der Apherese-Wirksamkeit bei Long Covid fehlt.»

 

«Der fehlende Nachweis der Wirksamkeit, zusammen mit einer fehlenden kausalen Erklärung, wie eine Apherese überhaupt zur Heilung beitragen könnte, dazu mögliche Nebenwirkungen – das sind die Gründe, warum die Fachgesellschaften die Behandlung derzeit nicht empfehlen. Darauf weist auch die Bundesärztekammer in einer Stellungnahme hin, die die umfangreichen Forschungsbemühungen zu Long Covid dokumentiert. Sie betont, dass die kausalen Zusammenhänge derzeit nicht bekannt sind und deshalb auch keine evidenzbasierten, kausalen Behandlungsmöglichkeiten existieren.»

 

«Dass es Patienten gibt, denen es im Verlauf der Apherese-Behandlung besser geht, ist derweil nicht überraschend. Gerade wurden im Ärzteblatt Daten einer umfassenden Studie veröffentlicht, die zeigt, dass die Long-Covid-Symptome bei den meisten Betroffenen innerhalb eines Jahres verschwinden. Während unter den Covid-Patienten, die nicht stationär behandelt worden sind, nach drei Monaten noch rund sechs Prozent mindestens ein Long-Covid-Symptom hatten, waren es nach einem Jahr weniger als ein Prozent. Offenbar trägt die Zeit ganz wesentlich zur Genesung bei – ob nun eine Apherese-Behandlung durchgeführt wurde oder nicht.»

 

«Davon ist in der Hirschhausen-Sendung nicht die Rede. Es hätte ein wenig die Dramatik der Darstellung gemildert, wenn man den zuschauenden Betroffenen auch die Hoffnung vermittelt hätte, dass ihre Beschwerden in den nächsten Monaten mit großer Wahrscheinlichkeit verschwinden werden.»

 

https://www.welt.de/politik/deutschland/plus241629837/Umstrittene-Long-Covid-Therapie-Hirschhausens-Werbesendung-fuer-die-Blutwaesche.html