DR. MED.
HENRICH STIFTUNG
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Fortsetzung der Diskussion über die teuflische Morgenandacht von Pfarrer und Jäger Unrath

Vorgeschichte: https://www.veganbook.info/teuflische-morgenandacht-des-jagenden-pfarrers-unrath/

 

Hier die weiteren Stellungnahmen von Prof. Dr. Hamper und Herrn Unrath:

 

Na, Herr Pfarrer Unrath,

 

da hat sich aber jemand zumindest Mühe gegeben. Das Thema ist zwar komplex, aber so viel Sophismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Sophismus_(Rhetorik)) wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Man sollte Probleme auf das Wesentliche reduzieren, anstatt sie mit Begriffen wie „Biblizismus“ und „Exegese“ weiter zu komplizieren. Einer der Murphy‘schen Grundsätze, den man oft in wissenschaftlichen Publikationen wiederzufinden glaubt, lautet: „If you cannot convince them, confuse them.“ Genau das tun Sie mit Ihrer Stellungnahme. Ihre argumentative Verzweiflungstat erklärt nichts, sondern bewegt sich folgerichtig in dem von innen verspiegelten Aquarium, in dem Sie wirken. Es ist eben ein grundsätzlicher Unterschied, ob man von außen auf etwas schaut und es beurteilt, oder ob man ausschließlich systemimmanent UND anthropozentrisch denkt und damit am Tellerrand der eigenen Froschperspektive klebenbleibt. Auch wenn Sie im Sinne einer Putativnotwehr bereits jetzt ankündigen, eine weitere Diskussion - auch mit ernstzunehmenden Gesprächspartnern – zu verweigern (warum sollten Sie das tun, wenn Sie sich nicht des brüchigen Eises bewusst wären, auf dem Sie sich bewegen), erlaube ich mir dennoch, einige Punkte Ihrer weitschweifigen Betrachtungen aufzugreifen. Vielleicht lösen sie bei Ihnen ja doch noch einen kleinen und sicher nötigen (wenn schon nicht Zu-Ende- dann doch wenigstens) Weiter-Denkanstoß aus.

 

„Biblizismus und Exegese“: Beides sind völlig unnötige und untaugliche Mechanismen, wenn die Glaubhaftigkeit des zugrundeliegenden Werks mit höchster Berechtigung angezweifelt werden darf. Subjektive „Gottes“- oder sogar „Befreiungs“erfahrungen ohne nachprüfbare Belege (ich dachte bisher, dass die Kirche über die Jahrhunderte den Mächtigen fast immer bei der Unterdrückung und nicht bei der Befreiung der Massen wie auch der Denkenden geholfen haben) sind wertlos. Was Menschen vor vielen Tausend Jahren mit dem damaligen Wissens- und Bewusstseinsstand zu erfahren und zu verstehen geglaubt haben, das hat heute keinen Belang und auch keine Berechtigung mehr. Wenn so etwas akzeptabel wäre, müssten wir uns in meinem Fach auch heute noch bemühen, das Konzept der Vier-Säfte-Pathologie (https://de.wikipedia.org/wiki/Humoralpathologie) aus der hippokratischen Zeit exegetisch zu rechtfertigen und/oder die physiologischen Erkenntnisse eines William Harvey (https://de.wikipedia.org/wiki/William_Harvey) zu ignorieren. Beides würde heute kein vernünftiger Mensch mehr tun. Täte er es, würde er sich der unbedingten Lächerlichkeit preisgegeben. Nur in Bezug auf die Bibel sind es immer noch die von Ihnen beanstandeten „Scheuklappen“ bzw. eigentlich kompletten Doppelpiratenaugenklappen, die Sie und Ihre Firma als erstrebenswert darstellen. Da komme ich mit meinem bisschen Verstand nicht mehr mit.

 

Man kann in Bezug auf „Biblizismus“ und „Exegese“ weiterhin angemessen vereinfachend nur den großen Hagen Rether zitieren: „Achtung vor der Schöpfung! Nächstenliebe! Fertig ist die Religion! Mehr braucht kein Mensch!“ Ich finde diesen Ansatz grundsympathisch. Aber mit der Religion ist es ja wie mit dem deutschen Steuersystem: Gäbe es nicht so unendlich viele und unendlich entbehrliche sowie teilweise widersprüchliche und sinnlose Vorschriften, dann würde ein ganzer Berufsstand von Steuerberatern und Finanzbeamten der Arbeitslosigkeit und Verelendung anheimfallen. (Nota bene: In diesem Jahr haben die christlichen Kirchen in Deutschland (wahrscheinlich die reichsten Kirchen weltweit) wieder ca. 11 MILLIARDEN Euro allein an Kirchensteuer abgegriffen, zusätzlich zu den vielen weiteren Millionen, die der allgemeine Steuerzahler aufbringen muss, auch wenn er kein Vereinsmitglied mehr ist (siehe http://www.stop-kirchensubventionen.de/). Das ist natürlich ein schönes und leicht verdientes Geld, auf das man ungern verzichten möchte und welches das Nebelkerzenwerfen lohnt.)

 

Auch die Rechtfertigung von Religion im Sinne der Frage der Theodizee (https://de.wikipedia.org/wiki/Theodizee) kann man angemessen vereinfachend auf einen einzigen Punkt reduzieren: Ein Gott, der seine Schöpfung auf dem Prinzip „Fressen-und-Gefressen-werden“ aufgebaut hat und gleichzeitig behauptet, diese Schöpfung sei wunderbar (weil der Gesang der Nachtigall ja so schön ist) und alle seine Lebewesen würden von ihm geliebt, kann nur ein bewusstseinsgespaltener und sadistischer Charakter sein. Das Prinzip „Fressen-und-Gefressen-werden“ ist der simpelste und logischste negative Gottesbeweis. Bereits hier könnte eigentlich alle Theologie aufhören.

 

Sie natürlich leiten aus diesem lebensverachtenden Naturprinzip auch Ihre Jagdrechtfertigung ab, obwohl wir Menschen als einzige Spezies die ethische Wahlmöglichkeit haben, auf das Töten verzichten zu können und nicht blinden Instinkten folgen zu müssen. Gestatten Sie mir die Frage: Haben Sie auch eine von Ihnen gut behandelte Kuh im Garten stehen, um Ihrer Enkeltochter Emma Kakao kochen zu können? Nein? Ach, die Milch kaufen Sie bei REWE oder vielleicht sogar im Bioladen? Könnte es dann sein, dass es auch für Sie beim Zeigefinger krumm machen doch noch ganz andere Motivationen gibt als nur die Beschaffung des ethisch ach so sauberen Jagdfleischs?

 

Zum Beispiel diese hier: https://www.youtube.com/watch?v=-Ls-m1kDwVY (besonders ab Minute 1:30)???

 

Oder dieses Zitat des „großen“ Hobbyjägers Roderich Götzfried (Vater von Max Götzfried: http://www.maxgoetzfried.de/author/max/, machen Sie sich die Mühe, die Seite mal bis zum Ende runterzurollen und zu lesen) zur eigentlichen Jagdmotivation??? „Wer noch nie so eine Jagd mitgemacht hat, wer noch nie so einen Jagdrausch erlebt hat, wer sich noch nie mehrmals in einem Treiben fast rückwärts überschlagen hat, weil seine Flinte mit dem weiten Schuss einfach eisern immer noch am hohen Vogel klebte, wer sich noch nie die Hände an heißgeschossenen Flintenläufen verbrannt hat und wer noch nie am Abend eines solchen Jagdtages mit seinen Jagdfreunden vor so einer exzellent gelegten riesigen Strecke gestanden hat, der sollte sich jeglicher Kritik an so einer großen Jagd ganz einfach enthalten. Einmal würde die Kritik der Sache nicht gerecht werden und zum anderen würden dadurch vielleicht einige Jäger, die von so einer Jagd träumen, davon abgehalten werden, ihren Traum einmal Erfüllung werden zu lassen.“

 

Haben Sie tatsächlich noch nie an dem großen gesellschaftlichen Jagdevent einer „Bewegungsjagd“ (beschönigender Jäger-Ausdruck für Hetzjagd) teilgenommen, bei denen zahllose Wildtiere nicht tot umfallen, bevor sie den Schuss hören (wie Sie wider besseres Wissen wunschdenken), sondern „krank geschossen“ (auch so ein ekelhafter beschönigender Jägerausdruck) manchmal tagelang umherirren, bevor sie im Unterholz elendiglich krepieren? Warum kaufen Sie Ihr „gelegentliches“ Wildfleisch, wenn Sie es denn schon zu brauchen glauben („weil es ja so lecker ist“, Zitat H. Rether), nicht einfach beim Förster Ihres Vertrauens, der übrigens Profijäger ist und kein Hobbyjäger (ich wüsste nicht, was an diesem realitätsbeschreibenden Begriff abwertend sein soll), wie Sie ja auch die Milch bei REWE (oder im Bioladen) kaufen? Da würden Sie auch viel Geld für die teure Ausrüstung und die Jägerprüfung (die von Ihresgleichen gern hochtrabend „grünes Abitur“ genannt wird und heute bereits nach einem 14-tägigen Crashkurs abgelegt werden kann und damit eher einem „grünen Sonderschulabschluss“ entspricht) sparen. Was könnte man mit diesem gesparten Geld alles Gutes tun . . .

 

Und zum Thema Hubertusmesse könnten Sie ruhig doch etwas sagen, denn auch die evangelische Kirche feiert solche Blutmessen. Dass mir das bislang entgangen war, mag verzeihlich sein, aber Sie als studierter evangelischer Kirchenmann UND Jäger wüssten das nicht? Googeln Sie mal „Hubertusmesse“ und „evangelisch“. Da werden Sie Augen machen.

 

Die ultimative philosophische Simplifizierung, die man trotzdem als Lebensprinzip akzeptieren kann, ja sogar soll, ist und bleibt aber der alte Kant’sche Kategorische Imperativ (https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorischer_Imperativ), den man auch für Jäger verständlich so übersetzt: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem and‘ren zu.“ So einfach kann Philosophie und Ethik sein, die nach dieser Maxime und entgegen Ihrer Aussage („Meine Ethik – Deine Ethik“) übrigens nicht teilbar ist.

 

Respekt – so führte es Frau Wittkowski in dem Schriftwechsel mit Ihnen aus, den ich direkt unter Ihrer Antwortmail für die geneigte Leserschaft eingefügt habe – muss man sich verdienen. Da hat sie wohl sehr recht. Respekt verdient man sich als studierter Kopf auch und vor allem durch intellektuelle Redlichkeit. Auch Sie könnten sich diesen Respekt verschaffen, wenn, ja wenn Sie auf Ihrem Wege versuchten, jeden Tag ein Stückchen weiter zu denken und auch die Fragen, die hinter den vordergründigen und einfachen Antworten warten, zu beantworten. Dann werden wir in einigen Jahren meinungsmäßig sicher nicht mehr weit auseinander sein. Als intellektuelle Wegzehrung sei Ihnen dafür die Lektüre von drei Essays von Dr. Gunter Bleibohm anempfohlen, die ich mir erlaube, Ihnen im Anhang zu überreichen: „Propheten“ zur Frage der altertümlichen Gottes- und Befreiungserfahrung, „Illusion Menschenwürde“ zum Thema der Gottgleichheit und „Kirche und Jagd“.

 

Mit freundlichen  Grüßen

 

Prof. Dr. Klaus Hamper – Deimern 5 - D-29614 Soltau - k.hamper@ewe.net

 

PS: Wir befinden uns mitten in einer Periode des großen Artensterbens, dennoch sind die meisten Menschen blind dafür. Sie sind so beschäftigt mit ihrem trivialen Zirkus, den anthropozentrischen Zeitvertreiben, Sport, Kunst, Klatsch, Politik, Wein, Essen und Unterhaltung. Die Menschen fiedeln, während die Erde brennt. Captain Paul Watson, www.sea-shepherd.de

 

PPS: An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert. Erich Kästner, Das fliegende Klassenzimmer

 

Von: Karl-Martin Unrath [mailto:karl-martin.unrath@gmx.de]

Gesendet: Mittwoch, 20. Juli 2016 21:51

An: hannover@tierschutz-landwirtschaft.de; GoVegan@schnitzel-ist-out.de; k.hamper@ewe.net; frank-michael.theuer@gep.de

Betreff:

 

Sehr geehrte Frau Groß,

 

sehr geehrter Herr Prof. Hamper,

 

sehr geehrte Damen und Herren,

 

zu meiner Morgenandacht im Deutschlandfunk am 14.07.2016 erreichte mich eine große Zahl an zumeist kritischen Rückmeldungen. Tatsächlich sind es so viele, dass ich mich außerstande sehe, jede einzelne persönlich zu beantworten. Da die meisten der Rückmeldungen, die mich erreicht haben, offensichtlich aus denselben Netzwerken kommen, gehe ich davon aus, dass ich sie auch mit einem an alle gerichteten Schreiben beantworten kann. Formal beziehe ich mich dabei im Wesentlichen (wenn auch nicht ausschließlich) auf die Schreiben von Frau Maria Groß und Herrn Prof. Dr. Klaus Hamper; sie waren schlicht die ersten und auch ausführlichsten Emails, die mich erreicht haben. Dabei werde ich nicht alle Aspekte dieser und weiterer Schreiben aufgreifen, sondern mich auf die Aspekte beschränken, die mir wesentlich scheinen und zu denen ich etwas sagen kann und will. Um der Klarheit willen möchte ich vorausschicken, wozu ich mich nicht äußern werde. Ich werde mich nicht zu Fragen des Islams äußern. Dafür bin ich weder kompetent noch zuständig. Das Gleiche gilt für alle Fragen, welche die römisch-katholische Kirche betreffen; also auch für die Hubertusmesse. Sie werden dafür, wenn Sie wollen, andere Ansprechpartner finden. Auch zu Fragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Einflusses der Kirchen auf diesen äußere ich mich nicht. Hierzu können Sie sich an die Sendeanstalten und die kirchlichen Beauftragen für diese wenden. Die Anschriften sind im Internet mühelos zu finden.

 

Bevor ich auf Ihre Rückmeldungen (in Auswahl) inhaltlich eingehe, möchte ich noch einmal in aller Kürze mein Anliegen zusammenfassen: Da ich guten Gewissens industriell produziertes Fleisch nicht mehr essen konnte (über die Gründe sind wir uns sicherlich einig) habe ich tatsächlich lange überlegt, ob ich Vegetarier werden sollte (meinen Respekt vor einer vegetarischen Lebensweise habe ich in meiner Andacht deutlich zum Ausdruck gebracht). Ich habe nach reiflicher Überlegung keine ethische Notwenigkeit dafür gesehen. Darüber war ich durchaus froh, weil ich tatsächlich gerne gelegentlich Fleisch esse. Als eine ethisch nicht zu beanstandende Form, Fleisch zu gewinnen, erschien und erscheint mir die verantwortlich ausgeübte Jagd. Verantwortlich heißt dabei in erster Linie, Leiden für das Wild zu vermeiden. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass auch Nichtvegetarier ihren Fleischkonsum überdenken und reduzieren sollten. Das ist eine von der Jagd völlig unabhängige Überlegung.

 

Meine ethische Entscheidung habe ich dabei gerade nicht, wie mir in mehreren Rückmeldungen unterstellt wurde, biblizistisch begründet.  Im Gegenteil. Um deutlich zu machen, dass man nicht einfach unreflektiert Bibelstellen zur Rechtfertigung einer ethischen Position heranziehen kann, habe ich darauf hingewiesen, dass in der Bibel zu dieser Frage konträre Meinungen zu finden sind (wobei eine davon tatsächlich eine Außenseiterposition darstellt). Tatsächlich habe ich meine ethische Entscheidung gar nicht begründet. Dazu hätte ich systematisch-theologisch weit ausholen müssen, was im Rahmen einer Rundfunkmorgenandacht nicht zu leisten war, jedenfalls für mich nicht. Deshalb habe ich mich auf die Formulierung beschränkt: „Vegetarisch oder vegan? Aus religiösen Gründen halte ich das nicht für geboten.“ Im schriftlichen Manuskript ist das ein neuer Absatz, um deutlich zu machen, dass sich diese Aussage nicht auf den biblischen Exkurs bezieht. Diesen habe ich aufgenommen, weil das viele kirchlich gebundene Hörerinnen und Hörer interessiert (ich finde es auch interessant). Ich gebe allerdings aufgrund der Rückmeldungen zu, dass ich mich in diesem ganzen Passus um mehr Verständlichkeit hatte bemühen müssen.

 

Interessanterweise wird aber gerade in vielen kritischen Rückmeldungen biblizistisch argumentiert, indem mir vorgeworfen wird, gegen das fünfte Gebot zu verstoßen. In aller Deutlichkeit: Im fünften Gebot geht es nicht um das Töten von Tieren. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, den Dekalog (die 10 Gebote) im Zusammenhang zu lesen (2. Mose 20; 5. Mose 5), werden Sie feststellen, dass der Dekalog nicht etwa eine allumfassende Ethik formuliert, sondern so etwas ist wie ein Gesellschaftsvertrag für eine bäuerliche Gesellschaft Palästinas in der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends. Diese bäuerliche Lebensweise war wesentlich geprägt durch den Besitz von Land, Rind, Esel und Vieh (vgl. das Sabbatgebot und die Begehrverbote). Mit Vieh sind Schafe und Ziegen gemeint. Natürlich wurden diese geschlachtet. Anders würden auch die in diesem Zusammenhang formulierten Schlachtgesetze keinen Sinn ergeben.

 

Das Verständnis der Bibel als Heilige Schrift, als Wort Gottes, war in manchen Rückmeldungen ein Kritikpunkt. „Von bronzezeitlichen Hirten aufgeschrieben, immer wieder weitererzählt, übersetzt, abgeschrieben und dabei verändert und verfälscht, muss man schon sehr scheuklappenmäßig begabt sein, um solch ein Werk zum „Wort Gottes“ zu erklären.“  Dass die Bibel solche Entstehungsprozesse durchlaufen hat, wie in dem Zitat von Herrn Prof. Hamper angedeutet, weiß jeder Theologe und auch jeder aufgeklärte Christenmensch. Tatsächlich ist es ein wesentlicher Bestandteil jedes Theologiestudiums, mit dieser Tatsache in der Auslegung der Bibel umzugehen. Man nennt es historisch-kritische-Exegese. Diese ist selbstverständliches Handwerkszeug fast jedes Pfarrers und jeder Pfarrerin in Deutschland. Ich möchte dem in dem Zitat von Prof. Hamper zum Ausdruck kommenden Bibelverständnis ein anderes entgegensetzen. In der Bibel bezeugen Menschen ihre Gotteserfahrungen. Ob diese Erfahrungen sich möglicherweise einer Projektion verdanken oder dergleichen, ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal unerheblich. Es sind, wem auch immer verdankt, jedenfalls Erfahrungen von Befreiung aus Sklaverei und Armut, Rettung aus Krankheit und Not, Trost in Trauer, Hoffnung gegen die Verzweiflung, usw. Es sind (bei allen Fragwürdigkeiten, die sich in biblischen Texten natürlich finden) Erfahrungen einer umfassenden Befreiung. Die Bibel ist im Wesentlichen Zeugnis des Glaubens an diesen befreienden Gott. Dabei heißt glauben nicht etwa „für wahr halten“, sondern „vertrauen auf“. Zur Heiligen Schrift wird die Bibel, weil Menschen durch die Jahrhunderte hindurch die Erfahrung gemacht haben, dass das Glaubenszeugnis der Alten die Kraft hat, Glauben zu stiften; bis heute. Emanzipatorische Erfahrungen zu machen; bis heute. Als Pfarrer erlebe ich an jedem einzelnen Tag, wie Menschen durch das Wort der Heiligen Schrift in ihrer Trauer getröstet werden, in ihrer Beziehungskrise eine Perspektive gewinnen, zur Solidarität mit Menschen befreit werden, die zu kurz kommen, mit ihrer Krankheit umzugehen lernen, usw. Ich erlebe es an Gräbern und an Krankenbetten, in der Schule und im Gottesdienst und manches Mal bei Rewe an der Kasse. Wenn das, Herr Prof. Hamper, bedeutet, „scheuklappenmäßig begabt“ zu sein, dann bin ich gerne und mit Leidenschaft ein Narr.

 

Dass der Mensch diese Befreiung verdient hat, dass er sie wert ist, bedingungs- und voraussetzungslos, dass der Mensch Würde hat, die ihm ohne eigenes Zutun zukommt, das ist gemeint mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die Sie, Herr Professor, ausmachen als Ursache des „anthropozentrischen Wahns“ und damit als Ursache „dieser schlingernden und ihrem Untergang entgegen trudelnden menschlichen Gesellschaft“, als „ALLEINIGE Ursache des Zustandes, in dem sich unser schwerst kranker Planet befindet“. Ich widerspreche. Dass dieser großartige Gedanke der Gottebenbildlichkeit, der unveräußerlichen Würde des Menschen, in den Herzen und Hirnen der Menschen nicht fester verankert ist, ist eine wesentliche Ursache allen Übels. Wo Menschen sich vom „anthropozentrischen Wahn“ Gottes selbst berühren lassen, wenden sich Dinge zum Guten. In aller Offenheit will ich sagen, dass ich diese stereotype Behauptung, Religion und religiöse Menschen seien Ursache aller Übel der Welt, nicht mehr hören kann. Sie ist so offenkundig falsch. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass von der Sklavenbefreiung bis zur ökologischen Bewegung nahezu alle emanzipatorischen Bewegung von religiösen Menschen zumindest mit initiiert waren? Nicht Religion macht den Menschen zum Wolf des Menschen. Der Mensch ist des Menschen Wolf, weil er so ist, wie er ist. Mitunter benutzt er Religion, um sich zu rechtfertigen. Gelegentlich eine Ideologie. Und mitunter einfach nur sein eigenes, armseliges Kreisen um sich selbst. Mir genügt eine Nachrichtensendung, um nicht eine Sekunde länger zu glauben, dass der Mensch aus sich heraus edel, hilfreich und gut ist. Ich glaube den humanistischen Verheißungen nicht mehr. Ich befürchte, der Humanismus ist Teil des Problems, weil er den Menschen bei einem Menschbild behaftet, das jeder Erfahrung widerspricht.

 

Noch eine Bemerkung zu Albert Schweitzer. Eine Hörerin wies mich darauf hin, dass Schweitzer erst in seinen letzten Lebensjahren Vegetarier geworden sei. Offenbar konnte er den Gedanken der „Ehrfurcht vor dem Leben“ viele Jahrzehnte lang mit einer nichtvegetarischen Lebensweise verbinden. Ich kann das auch. Für mich beschreibt der Begriff „Ehrfurcht vor dem Leben“  eine wünschenswerte Grundhaltung, zu der unser konkretes Handeln in der gebrochenen Wirklichkeit unserer Welt notwendigerweise immer wieder in Spannung geraten muss. Diese Spannung ist verantwortlich zu gestalten und auszuhalten. Genau in diesem Spannungsverhältnis liegt für mich die im oben genannten Sinne verantwortlich praktizierte Jagd. Theologisch gesprochen, wir leben im Vorletzten, nicht im Letzten, in der gebrochenen Wirklichkeit dieser Welt, nicht im vollendeten Reich Gottes. Ich nehme für mich nicht in Anspruch, diese Spannung immer in der bestmöglichen Weise zu leben. Aber ich bemühe mich.

 

Ich wollte noch manches sagen zu Begriffen wie Hobbyjäger, die ja erkennbar abwertend sein wollen. Zu Hege und Pflege, die mit einem Federstrich weggewischt wird, was ich inhaltlich für falsch halte. Aber ich denke, es genügt.

 

Ein Vorletztes. Ich habe in den vergangenen Tagen eine Vielzahl von Emails bekommen, die keine andere Absicht hatten, als zu beleidigen, zu verletzen und zum Teil leider auch zu drohen. Ich werde das mir und meiner Familie nicht mehr antun. Ich werde deshalb nach der Versendung dieses Schreibens auf keine Mails mehr reagieren.

 

Und ein Letztes. Es ist mir klar, dass ich Sie nicht von meiner Sicht der Dinge überzeugen werde, das ist auch nicht meine Absicht. Aber vielleicht konnte ich doch wenigstens eine Ahnung wecken, dass auch ein religiöser Jäger ethisch denkt und sich bemüht, ethisch zu handeln, auch wenn es nicht Ihre Ethik ist, die er vertritt.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Karl-Martin Unrath